Forschung statt Fassade

An

Herrn Prof. Werner Müller-Esterl

Präsident der Goethe-Universität Frankfurt
Grüneburgplatz 1 / Gebäude PA 
60323 Frankfurt am Main

 

 

Datum: 30. April 2013

Forschung statt Fassade

 

 

Sehr geehrter Herr Präsident,

 

in Ihrem Schreiben vom 23. April 2013, im Brief der DekanInnen der Goethe-Universität vom 24. April sowie bei der Vollversammlung der Studierendenschaft am 24. April wurden Probleme thematisch, im Sinne deren Lösung wir Sie um Aufmerksamkeit für unsere Perspektive auf jene bitten.

 

Wie die Studierendenvertretungen und DekanInnen der Fachbereiche benennen, gibt es an der Goethe-Universität zur Zeit sowohl räumlich als auch strukturell zu behebende Mängel. Studierende können nicht erst seit diesem Semester aufgrund von Überfüllung von Seminaren nicht so studieren, wie es die Studienordnung von ihnen verlangt. Dem korrespondiert die prekäre Arbeitssituation von Lehrenden, wenn an Mitarbeiterstellen und Sachmitteln stark nachgefragter Fachbereiche gespart wird. Das aktuelle Wegfallen von großen Seminarräumen und die begrüßenswerte Zunahme von Studierendenzahlen führen in dieser Situation systematisch zu einer Zuspitzung der bereits zuvor problematischen Lage. Konkret bedeutet das z.B. für die Arbeitsbedingungen von Studierenden und Lehrenden der Fachbereiche 3 bis 5 nach dem Umzug in das neue PEG-Gebäude u.a. folgende Probleme:

 

  • Ärger mit den Seminarräumen: Es stehen zu wenig Seminarräume zur Verfügung, die vorhandenen sind jeweils für die Anzahl teilnehmen wollender Studierender zu klein, wer Glück hat, kann sich noch auf den Boden setzen, wer Pech hat,  muss ganz draußen bleiben. Dazu kommen Probleme der Ausstattung der Seminarräume: Die Tische sind in ihrer auf Frontalunterricht ausgelegten Position fest verschraubt, was andere Lehr- und Lernsettings behindert. Die Seminartische selbstständig der jeweiligen Arbeitsform entsprechend umzustellen oder durch eine andere Anordnung der Tische aushelfsweise Platz für mehr Studierende im Raum zu schaffen, wird den Lehrenden dort nicht gestattet. Nicht nur Studierende, sondern auch Lehrende müssen aufgrund von Raummangel im PEG für Lehrveranstaltungen zwischen dem Campus im Westend und dem in Bockenheim pendeln. Auf diese Raumsituation bezogen drängt sich die Frage auf: Wozu wird ein riesiges Treppenhaus benötigt, wenn die Veranstaltungsräume des Hauses nur auf geringe Besucherzahlen ausgelegt sind?

  • Zugänglichkeitsprobleme und Mobilitätshindernisse: Zahlreiche Zwischentüren im PEG können nur mit personalisierten Mitarbeiterchipkarten geöffnet werden und erschweren bzw. blockieren den freien Austausch innerhalb und zwischen den Instituten nicht nur für die Studierenden. Bspw. werden Studierende ab 18:00 Uhr von zentral verriegelten Türen und deren verfrühter Schließzeit daran gehindert, zu Seminaren und Forschungskolloquien zu gelangen, die nach 18:00 Uhr stattfinden; Brandschutztüren werden zum Verhängnis, indem sie auch mit Chipkarte ausgerüsteten MitarbeiterInnen den Durchgang zum Ausgang versperren. Darüber hinaus wird Studierenden untersagt, sich vor den Institutssekretariaten aufzuhalten, weil die Flure, von denen aus die Sekretariate zugänglich sind, mit Argumenten des Raummangels zu Arbeitsplätzen der studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräfte erklärt wurden.

  • Mangelhafte Arbeitsplatzsituation: Weil die Flure von Lehrenden und Studierenden der Institute zum Durchgang benutzt werden müssen, sind diese Arbeitsplätze im Flur systematisch von Passanten umgeben und eignen sich daher kaum zu konzentrierter wissenschaftlicher Arbeit oder zum Umgang mit vertraulichen Dokumenten. Die neuen Büros der Lehrenden im PEG sind so hellhörig gebaut, dass Schallschutzkopfhörer nötig wären, um in Zimmerlautstärke geführte Gespräche im Nebenraum nicht ungefragt mithören zu müssen und ungestört arbeiten zu können. Innenliegende Toilettenräume sind ohne Beleuchtung, Spülungen sind defekt. Auf Reparaturen wird noch gewartet.

 

Trotz dieser Mängel erkennen wir das PEG als ein begrüßenswertes Zeichen für die angestrebte Gleichbehandlung aller universitären Fachbereiche hinsichtlich ihrer materiellen Ausstattung durch das Präsidium an, und freuen uns, dass die Pädagogen, Psychologen, Soziologen, Politikwissenschaftler und Humangeographen nun endlich wie die andern Fachbereiche auch ein modernes Gebäude für ihre Forschung und Lehre beziehen durften.

Für gute Studien- und Arbeitsbedingungen im PEG wäre es sehr hilfreich und nötig, dass die Leitung der Universität auch die sachlich begründeten Sorgen und Beschwerden der Studierendenschaft zu den dort bestehenden Studienbedingungen ernst nimmt. Dass in der Mittagszeit vor und während der studentischen Vollversammlung am 24. April alle Mensen und Cafés auf dem Campus mit dem Argument des von der Vollversammlung ausgehenden Sicherheitsrisikos gesperrt wurden, hinterließ bei uns allerdings einen anderen Eindruck. Es wirkte, als ob es statt der Aufnahme von Gesprächen zu den thematisierten Problemen um strategische Maßnahmen zur Entsolidarisierung der Studierenden ging: Für die mittags hungrig bleibenden KommilitonInnen musste es so aussehen, als ob sie ihre knurrenden Mägen den hochschulpolitisch aktiven Studierenden zu verdanken hätten. Angesichts der parallel weiterhin stattgefunden habenden Lehrveranstaltungen in den umliegenden Gebäuden lag wohl kein tatsächliches Gefährdungsszenario vor (sonst hätte man auch diese schließen müssen). Rückblickend bleibt der Eindruck, alle Studierenden seien präventiv unter Generalverdacht potentiell kriminellen Verhaltens gestellt worden mit der Argumentation, dies sei nötig zum Schutz von Gebäuden.

 

In Ihrem Brief vom 23. April wurde dies vorsorglich begründet: „Der Steuerzahler hat allein auf dem Campus Westend knapp eine halbe Milliarde Euro zur Modernisierung der Lehr- und Forschungsgebäude investiert. Die neuen Gebäude stellen ein schützenswertes öffentliches Gut dar.“

 

Dass mit Steuergeldern sinnvoll umgegangen werden und öffentliches Gut geschützt werden soll, verstehen wir und bitten daher angesichts des vielen Geldes, was bereits ausgegeben wurde, auch um Verständnis für folgende Frage: Wie kann es sein, dass das PEG, als eines dieser teuren neuen schützenswerten Gebäude, trotz seiner Modernität doch einige Forschung und Lehre nicht unwesentlich behindernde Dysfunktionalitäten aufweist?

 

Mit Blick auf die in diesem Schreiben exemplarisch skizzierten Studienbedingungen im PEG bräuchte es (völlig unabhängig von der polizeilichen Räumung eines selbstverwalteten studentischen Ortes der Wissenschaft und Kultur am Montag den 22. April) nicht viel Phantasie, den Ärger der Studierenden im Wortsinne als "hausgemacht" zu identifizieren. Zusätzlich wird durch eine übertriebene Sicherheits- und Überwachungspolitik, die auf Misstrauen und Restriktion setzt, unnötig Unmut erzeugt.

 

Im Übrigen konnten wir im PEG bislang zum Glück keine zerschlagenen Scheiben entdecken. Daher fragen wir uns, wo und wie genau die 100.000 Euro Kosten, die jetzt im Personal- und Sachmittelhaushalt als Konsequenz von „erheblichen Sachbeschädigungen“ auf „dem Campus in Bockenheim und im Westend“ fehlen sollen, verursacht wurden. Immerhin dürfte die Entfernung von Graffitis in der zur Behebung der Sachschäden genannten Summe keinen Posten ausmachen. Das wäre jedenfalls verwunderlich, da die Goethe-Universität auf ihrer Homepage öffentlich zeigt, dass sie Graffitis als legitime Ausdrucksform schätzt (vgl. das Logo zur universitätsweiten Befragung von Promovierenden seitens Goethe Graduate Academy GRADE, welches einen auf eine Wand gesprühten Graffiti-Schriftzug „BIST DU GLÜCKLICH?“ zeigt.)

 

Statt formaler Transparenz von Glastüren bei gleichzeitig durch sie versperrtem Zutritt, bräuchten wir für gute Forschung und Lehre den freien wissenschaftlichen Austausch innerhalb der Institute und zwischen den Fachbereichen. Dafür wäre die Beseitigung von bisherigen Barrieren sinnvoll und nötig. Ebenfalls wesentlich wären weniger Kameras, aber z.B. zum freien Informationsaustausch dienende Schwarze Bretter, die unkompliziert, kostengünstig und zeitnah aufgestellt werden können. Wichtiger als perfekt installierte Medientische und deren technische Wartung durch Spezialisten wären für unterschiedliche Veranstaltungsformate flexibel nutzbare Räume, die bauliche Verbesserung der Arbeitsplätze und personelle Planungssicherheit. Diese Liste ließe sich fortsetzen.

 

Wir bitten Sie also: Tun Sie etwas dafür, dass nicht der Eindruck bleibt, Sie sähen als „schützenswertes öffentliches Gut“ der Universität primär deren Gebäude und nicht das, was in diesen als Forschung und Lehre geschehen sollte! Setzen Sie sich für eine Verbesserung der baulichen, organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen ein, die eine gute Forschung und Lehre ermöglichen und die Studienbedingungen verbessern! Sorgen Sie dafür, dass nicht die Fassade der neuen Gebäude das sein wird, womit die Goethe-Universität Frankfurt in Zukunft werben muss!

 

Bitte verstehen Sie unser Schreiben im Sinne einer Universität, die mit Recht den Namen eines Protagonisten jener Zeit trägt, in welcher durch wissenschaftliche Aufklärung und Bildung anstelle gewaltvoller Revolution versucht wurde, mit Forschung und Lehre zur Entwicklung einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft beizutragen.

 

Sich dafür gemeinsam einzusetzen laden wir mit diesem offenen Brief ein.

 

Mit freundlichen Grüßen,

 

Martin Heußner,

Rahel Hünig,

Sascha Eberz,

Helge Kminek,

Mandy Müllenborn,

Clemens Wieser,

Ngoc Cao,

Sebastian Menges